Wort

Kolumne

Monatlich schreibt Pastor Martin Kaminski für die Ostfriesen-Zeitung eine Kolumne, die unter der Rubrik „bi karkens“ erscheint. Hier kann man sie lesen:

Die Top fünf (25.04.2025)

Ostern hat mir in diesem Jahr gut gefallen. Vermutlich ist das ziemlich egoistisch, denn es gibt ja nicht nur Grund zur Freude auf der Welt. Es kommt aber vor, dass man mitten im Chaos etwas Schönes erlebt.
Ostermontag saß ich so da und machte mir darüber Gedanken, was in meinem Leben schön war. Bestimmt haben Sie sich darüber auch schon einmal Gedanken gemacht. Hoffentlich haben Sie viele gute Erinnerungen! Nehmen wir mal an, man würde Sie nach den TOP fünf fragen. Manche würden vielleicht sagen, das ist schwer zu sagen, denn es gibt
viele. Andere würden vielleicht sagen, in meinem Leben komme ich gar nicht auf
fünf. Aber jeder käme ins Grübeln. Was sind denn die Top fünf? Vier Momente
fallen mir sofort ein. In allen vier Fällen war es dunkel draußen. In allen vier Fällen wusste ich eigentlich was kommt, wurde dann aber
total überrascht. In allen vier Fällen hatte ich nichts dafür geleistet und wusste, dass
es danach nicht nur einfach wird. In allen vier Fällen war ich überwältigt von jeweils einem Wunder. In allen vier Fällen wusste ich, dass es ein Privileg ist, so etwas zu erleben. Und das nicht jeder Mensch dieses Glück hat. Die Momente geschahen in den Jahren 1990, 1996, 1999 und 2006. Es waren die Geburten unserer Kinder. Ich erinnere mich an alle vier Momente ganz genau. Es spielte keine Rolle, wie schwierig das Leben werden könnte, welche Gefahren und Unsicherheiten auf uns zukommen könnten und wie verrückt die Welt in diesen Zeiten war. Für einen Moment war alles gut. Ich habe gejubelt, ich habe mich unvorstellbar gefreut. “Ihr werdet
jubeln in unaussprechlicher Freude”, sagt ein Text in der Bibel aus dem ersten Petrusbrief. Und weiter steht da: “In seiner großen
Barmherzigkeit hat Gott uns neu geboren.” Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Auferstehung mitten im Leben! Vor allem jenen, die nicht so viel Glück hatten wie ich! Möge Gott Euch stärken, schützen und überraschen! Top 5 kam übrigens 2024 und machte mich zum Opa. Gott sei Dank!

Unter jedem Dach ein Ach (28.03.2025)

Was eigentlich noch? Das fragen sich manchmal Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Man steckt sowieso schon in einer komplizierten Lage, weiß nicht so richtig, wie man dieses oder jenes bewältigen soll. Man fragt sich, wie es weitergehen soll, sieht keine Perspektive. Man sehnt sich vielleicht nach vergangenen Zeiten, in denen es leichter war. Und dann, wenn man eigentlich denkt, es geht wirklich nicht mehr, kommt nicht von irgendwo ein Lichtlein her, sondern ein neues Unglück stellt sich ein. Eine neue Katastrophe. Na ja, es muss ja nicht immer gleich eine Katastrophe sein, sagen wir eine neue Schwierigkeit oder wie die Weisheitslehrer sagen würden, eine neue Herausforderung. Was eigentlich noch? So etwas kennen wir und es ist nicht einfach, damit umzugehen. Die Wochen vor Ostern sind für die Christen die Passionszeit. Das bedeutet so viel wie Leidenszeit. Man kann über das Leiden von Jesus nachdenken und sich fragen, was das mit dem eigenen Leben zu tun hat. Ich finde das wertvoll, auch wenn es weh tun kann. Unter jedem Dach ein Ach, nicht wahr? Spätestens seit Jesus weiß Gott, was Menschen empfinden, wenn sie leiden. Bei all den schlimmen Dingen, die Jesus vor seiner Kreuzigung erlebt hat, hat er Gott vielleicht auch manchmal gefragt: Was eigentlich noch? Wenn man mitten in einer Leidenszeit steckt, ist es wirklich nicht einfach, an die Zeit danach zu denken. Dabei gibt es sie, selbst wenn am Ende der Leidenszeit das Kreuz steht. Christen glauben, dass danach Ostern kommt. Glauben heißt, zu wissen, dass es tagt.  In meinen Leidenszeiten hat mich das immer getröstet. Ich finde das übrigens nicht naiv. Ich finde es gutgläubig. Und das ist wirklich nicht dasselbe! Atheisten sagen ja, dass nach dem Kreuz nichts kommt. Ist das jetzt beunruhigend? Für mich nicht. Schließlich kann ja auch das Nichts wirklich paradiesisch sein. Wer nach einer langen Leidenszeit ruhig, tief und fest geschlafen hat, der weiß, was ich meine. Was eigentlich noch? Noch ist nicht Ostern, aber bald!

Haltet Frieden (28.02.2025)

Diese Kolumne heißt ja “bi karkens”. Was ist überhaupt “die Kirche”? In der Bibel steht nicht sehr viel dazu, nur dass Jesus sie gewissermaßen gegründet hat. Natürlich schwebten ihm dabei nicht verschiedene Konfessionen vor, sondern ein Ort, an dem Menschen Gemeinschaft, Orientierung und Hilfe auf dem Boden des Evangeliums finden. Was er wohl dazu denkt, was daraus geworden  ist? Nach der Wahl ist vor der Wahl. Kirchen haben sich an vielen Stellen positioniert. Nicht für eine Partei, sondern für Menschlichkeit, Nächstenliebe und Toleranz. In meiner Freikirche sprechen wir auch nach der Wahl darüber, wie wir uns in dieser Welt verhalten wollen. Also nicht “die Kirche”, sondern wir ganz persönlich. Ich möchte offen das Gespräch mit Menschen suchen, die etwas anderes denken oder glauben als ich. Ich möchte versuchen, dabei sanftmütig und barmherzig zu sein. Wenn jemand um der Gerechtigkeit willen verfolgt wird, will ich ihm die Tür aufmachen. Und ich will versuchen, Frieden zu stiften. Ich will daran erinnern, dass wir als deutsches Volk eine besondere Verantwortung haben. Weil wir so viel Leid über die Welt gebracht haben, sind wir ihr etwas schuldig. Und das sage ich, obwohl ich 1968 geboren bin und persönlich nicht dabei war, als Deutschland die Welt und das eigene Volk ins Unglück stürzte. Wie ist es bei der Kirche? Es gibt Kirchen, in denen hängen die Namen der deutschen Gefallenen der Weltkriege und manchmal steht dort sogar, dass sie für Volk und Vaterland gestorben sind. Vielleicht ist es eine Kleinigkeit, aber ich glaube, dass solche Formulierungen zu dieser unsäglichen Geschichtsverdrehung beigetragen haben, die jetzt gerade wieder mehr Beachtung findet. Sie sind nicht gefallen, weil sie ihr Volk und ihr Vaterland verteidigt haben, sondern weil in unserem Volk und Vaterland die Gewalttäter die Oberhand gewonnen hatten. Helft mit, dass solche Heldengedenktafeln aus den Kirchen verschwinden. Die Namen sollen bleiben. Zwei Worte schreiben wir darüber: Haltet Frieden!

Wiedergeburt (31.01.2025)

Es begab sich aber zu der Zeit, als die Menschen alles daran setzten, ihr geerbtes Hab und Gut zu verteidigen. Sie hatten vergessen, dass es nicht ihr Verdienst war, im Schwarzwald, an der Ostsee oder sonst an einem Ort mit Krankenversicherung geboren worden zu sein. Es gefiel dem Allmächtigen, von seinem Plan abzuweichen, den Menschen unabhängig von ihrer Leistung einen Himmel in Aussicht zu stellen. Stattdessen lieh er sich für ein gewisse Zeit von den Hindus die Idee der Wiedergeburt aus. Um die Lektion ein wenig zu beschleunigen, schnipste der Allmächtige mit dem Finger und einen Wimpernschlag später fanden sich 80 Millionen Bundesbürger in der Nähe des Äquators wieder. Die Einwohnerinnen und Einwohner Somalias hingegen erfreuten sich in der Lüneburger Heide an Netflix, weil ihnen die Nachrichten aus den Krisengebieten zu sehr an die Nieren gingen. Sie hatten nun auch wieder zwei davon, was eben noch gar nicht selbstverständlich gewesen war, da manche von ihnen im vorigen Leben eine verkauft hatten. Die Bundesbürger waren nun auf Hilfstransporte angewiesen. Der Allmächtige wunderte sich, dass sie plötzlich nichts mehr gegen Fremde hatten. Lag es daran, dass sie auf sie angewiesen waren? Warum nur hatten sie nicht verstanden, dass es im vorigen Leben auch schon so war?
“Allmächtiger”, riefen die Bundesbürger. “Wir wollen nicht in diesem Leben bleiben!”
Daraufhin schnipste dieser wieder mit dem Finger und die Welt hatte 80 Millionen neue Stallkaninchen. In der Lüneburger Heide formierte sich währenddessen der Widerstand gegen Einwanderer und Kaninchen im Allgemeinen. Zwar erinnerte man sich durchaus an das frühere Leben in Somalia, aber wichtiger war doch, die Grenzen zu schützen und den Wohlstand zu sichern. Alle anderen Lebensentwürfe waren etwas für weltfremde Spinner und religiöse Eiferer. Man konnte schließlich nichts dafür, dass man nun hier geboren war. Man durfte ja wohl noch stolz darauf sein und überhaupt wo käme man hin, wenn man sein Hab und Gut nicht verteidigte?

Behalte das Gute! (03.01.2025)

Am Silvestertag stand ich bei einem Discounter und staunte über ein Feuerwerkspaket. Für 54,99 konnte man einen Kasten erwerben, der laut Aufschrift 50 Sekunden Spaß versprach. Eine Sekunde Spaß kostete also mehr als einen Euro. Ein ganz schön teurer Spaß. Es fiel mir daher nicht schwer, an der Spaßpackung vorbeizugehen.
Im Auto hörte ich dann im Radio, dass immer weniger Menschen Briefe schreiben, um sich gegenseitig etwas Gutes für das neue Jahr zu wünschen. Viele rufen noch an, aber die meisten verschicken bunte Bilder oder Kurznachrichten. So wandern Milliarden von inhaltsgleichen Kurznachrichten um die Welt, in denen man sich meistens ein frohes neues Jahr wünscht oder so etwas ähnliches. Ich habe rein gar nichts gegen solche Wünsche, auch wenn ich weiß wie unrealistisch es ist, dass ich in diesem neuen Jahr nur froh sein werde. Mir fällt daher auf, wenn mir jemand ein gesegnetes neues Jahr wünscht. Das schließt nämlich die dunklen Tage mit ein. Segen ist die Zusage von Nähe. Gott schreibt uns lange Briefe und Kurznachrichten. Für ihn ist es auch nicht relevant, dass ein Brief seit Mittwoch 10 Cent mehr kostet, nämlich 95 Cent. Er findet viele Wege, um uns zu schreiben. Zum Beispiel durch den Apostel Paulus, in dessen langem biblischen Brief an die Thessalonicher eine Kurznachricht versteckt ist. Man nennt sie auch die biblische Jahreslosung für 2025: “Prüft alles, behaltet das Gute!” Das ist ein wirklich gutes Vorhaben für das neue Jahr, auch wenn es oft nicht einfach ist, da man sich ja gleichzeitig von Schlechtem verabschieden soll. Wo ich gerade so beim Prüfen bin, stelle ich fest, dass ein Brief immer noch deutlich günstiger ist als eine Sekunde Feuerwerksspaß. Nicht nur deshalb ist es leicht, meine Angewohnheit des Briefeschreibens zu behalten und in 362 Tagen wieder nicht zu böllern. Was werden wohl die Leserinnen und Leser dieser Kolumne behalten wollen? Wer überlegt jetzt, was das Gute in seinem Leben ist? Ich wünsche allen von Herzen ein gesegnetes Jahr 2025.

Nicht immer alles gut (06.12.2024)

Schauen Sie sich eigentlich gerne diese Weihnachtsfilme an? Meistens sind das sogenannte Familienfilme. Alles läuft auf Weihnachten zu, dann gibt es irgendwelche meist lustigen Probleme und am Ende haben sich dann alle wieder lieb. Ich schaue diese Filme gerne, auch wenn ich weiß, dass sie mit dem wirklichen Leben meistens reichlich wenig zu tun haben. Auch nicht mit meinem, in dem es manchmal gar nicht so ist wie im Film.
Ehrlich gesagt fürchte ich mich sogar ein bisschen vor Weihnachten. Nicht vor den Gottesdiensten, denn da weiß ich genau, was ich als Pastor zu tun habe. Schließlich hat mich Gott höchstpersönlich damit beauftragt. Ich spreche von der Hoffnung, die mit Jesus in die Welt kommt und versuche, Menschen zu ermutigen. Und ob etwas daraus wird, das kann ich ganz getrost Gott überlassen. Natürlich gebe ich mir trotzdem Mühe. Meistens macht er etwas daraus und mir geht es dann gut. Etwas anderes ist es zuhause.
Da fürchte ich mich wie gesagt ein bisschen vor dem Weihnachtsfest. Oft gibt es bei uns Streit, weil wir so verschieden sind. Und weil wir es fast nie schaffen, die Erwartungen an uns selbst zu erfüllen. Am Ende ist manchmal nicht alles gut und das macht mich traurig. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die sich vor Weihnachten fürchten. Manche, weil niemand kommt. Manche, weil jemand kommt.
Natürlich kenne ich auch Leute, die immer erzählen, wie toll alles bei ihnen ist. Ich freue mich für sie. Bei mir ist nicht immer alles toll. Oft wünsche ich mir, es wäre anders. Oft wünsche ich mir sogar, ich wäre anders. Irgendwie gelassener und zuversichtlicher. Vielleicht probiere ich dieses Jahr, es zuhause so zu machen, wie in meinem Dienst. Ich werde einfach darauf vertrauen, dass Gott etwas daraus machen kann. Natürlich gebe ich mir trotzdem Mühe. So kann man es wahrscheinlich machen, egal welchen Beruf man hat und auch wenn man gar keinen Beruf hat. Gott kann aus allem etwas machen, sogar aus den unvollkommensten Menschen. Ich wünsche uns eine versöhnliche Adventszeit. Fürchtet euch nicht.

Wenn sich das Beten lohnen würde (08.11.2024)

“Wenn et Bedde sisch lohne dät!” Das ist ein Lied von BAP. Mit 14 war ich ein großer Fan. BAP, sie wissen schon, diese Kölner Band, die up kölsch singt. Viele ihrer Lieder sind trotzdem überregional bekannt geworden. Besonders schön finde ich immer, wenn Menschen, die gar nicht “von hier” sind, sich die Mundart der Region aneignen. In Köln ist man dann sofort “ne Kölsche”. In anderen Gegenden legen Menschen Wert darauf, das Einheimische auch vor Ort geboren sind. Und oft reicht noch nicht mal das.
Wenn et Bedde sisch lohne dät, sang BAP 1982. Und dann wurden sehr viele Dinge aufgezählt, für die sich das Beten lohnen würde. Allerdings deuteten die Autoren des Liedes an, dass es sich eben nicht lohnt, zu beten. Der Grund sei, dass die Dinge nicht in Erfüllung gehen, für die man betet. Und tatsächlich: Die damals aufgezählten Gebetsgründe sind auch 42 Jahre später nicht vom Tisch. Wenn et Bedde sisch lohne dät, würde ich z.B. für Versöhnung zwischen den Menschen beten. Ich tue es sogar, auch wenn ich ahne, dass Gott mein Gebet nicht zeitnah erledigt, sondern es auch morgen noch Krieg gibt. Dass so viele Menschen trotzdem beten, muss also einen anderen Grund haben. Viele sagen, dass sie sich durch das Gebet mit Gott verbunden fühlen. Andere sagen, dass sie sich mit anderen Menschen verbunden fühlen. Belastende Zustände können sie so besser aushalten. Manche fangen sogar an, sich selbst für die Dinge einzusetzen, für die sie beten. Sie kommen ins Handeln! Manchmal hat man den Eindruck, dass Gott ein Gebet nicht nur erhört, sondern eine Veränderung ermöglicht. Das sind diese Momente, in denen man denkt: “Wie kann das sein?” Wie durch ein Wunder sprechen Menschen plötzlich doch dieselbe Sprache! Das Beten lohnt sich. Es stiftet es eine Gemeinschaft der Traurigen, der Ratlosen und der Hoffenden! “Was schlaft ihr? Steht auf und betet!” Das steht in der Bibel bei Lukas im 22. Kapitel. Heute will ich das mal wörtlich nehmen. Und übrigens: Wir sind alle nicht von hier!

Hört auf! (11.10.2024)

Als Jugendlicher bin ich mal überfallen worden.
Sie waren zu fünft. Wir waren drei. Sie schlugen einfach auf uns ein, weil wir auf ihrer Bank saßen. Einer von uns rettete sich in einen Vorgarten und klingelte an einer fremden Haustür. Während er Hilfe holte, wurde ich weiter verprügelt. Auf unseren Dritten hatten sie es weniger abgesehen. Er war zum Zuschauen verdammt und wimmerte unaufhörlich:  “Hört auf, hört einfach auf.” Irgendwann hörten sie auf. Zwei Männer, die aus dem Haus gekommen waren, brüllten und drohten mit der Polizei. Ich habe lange gebraucht, um dieses Ereignis zu verarbeiten.
Abends vor dem Fernseher bin ich es, der zum Zuschauen verdammt ist. Ich kann noch nicht mal zu irgendeinem Haus gehen und Hilfe holen.
Ich sehe dabei zu, wie Menschen unter Trümmern nach einem Kind suchen. Und ich sehe dabei zu, wie Menschen um verschleppte Geiseln weinen. Für das Abwerfen der Bomben, die die Häuser zerstörten, gibt es viele Gründe. Für den Einsatz der Waffen von Terroristen auch. Alle sagen, sie hätten Gründe. Auf dem Bildschirm sehe ich dann, wie sie das tote Kind auf ihren Händen tragen. Ich sehe die Tränen, mein Hals ist wie zugeschnürt. Dann flüstere ich: „Hört auf, hört einfach auf.” Aber sie hören nicht auf und es kommt keine Hilfe. Ich höre die Experten reden. Alle haben viel zu sagen. Mir fällt nicht mehr ein, als: Hört auf!
Sogar meine Gebete werden immer kürzer. Liegt es daran, dass ich das Gefühl habe, dass diese ganzen Worte zu nichts führen?
Es scheint nicht möglich mit allen Konsequenzen anzuerkennen, dass es kein Land gibt, das irgendjemandem gehört.
Ich habe mein Herz an einen besitzlosen Gott gehängt, der verprügelt, gefoltert und getötet wurde. Als Jesus schrie, kam keine Hilfe. Die Menschen hörten nicht auf, bis er tot war. So tot, wie das Kind im Fernsehen. So tot wie am Ende die Geiseln. Ich bin damals nur verprügelt worden, war nur leicht verletzt. Aber ich hatte große Angst. Wie groß muss erst die Angst der Kriegskinder sein?
Hört auf, hört einfach auf!

Warum ich meine Augen auf Jesus richte (13.09.2024)

Neulich dachte ich an meinen alten Freund Hermann, der irgendwann das Gleitschirmfliegen für sich entdeckt hatte. Ich sah ihm dabei zu, wie er bei uns auf dem hügellosen Acker das Starten übte. Er baute seinen Schirm auf, wartete auf ein Lüftchen und lief dann scheinbar völlig planlos herum. Der Schirm blähte sich ein bisschen auf und sank dann zu Boden. Ich hätte dazu keine Geduld gehabt, aber Hermann erklärte mir, dass die Startvorbereitungen besonders wichtig seien. Natürlich erzählte er auch von seinen Flügen: „Wenn man oben ist, das ist wunderbar – es gibt nichts Schöneres.“ Natürlich ist es wichtig, auch wieder heil runter zu kommen. Das kann man aber nicht genauso trainieren wie das Starten. Auf das Ende bereitete sich Hermann daher eher theoretisch vor. Er erzählte, dass es viele Tipps gäbe. Zum Beispiel diesen: „Du darfst nicht dahin schauen, wo du nicht hinwillst! Schau ja nicht dahin, wo du nicht landen willst!“ Menschen trainieren mitunter viel für den Start ins Leben. Kindheit und Jugend, Schule, Ausbildung, Studium. Menschen trainieren wenig für das Ende, für das Ziel. Wo wollen wir landen? Sollte man im Sinne des Landetrainings für das Lebensende vielleicht Bestattungsvorsorge betreiben? Das wird ja schon lange angeboten. Erdbestattung oder Feuerbestattung, Grab oder anonym, Seebestattung oder im Wald? Man kann sogar hinterlegen, welche Lieder bei der Trauerfeier gesungen werden sollen und alles vorher bezahlen, dann ist alles geregelt. Ich persönlich habe bereits festgelegt, dass ich nichts festlege. Meine Angehörigen können das alles so organisieren, wie sie das für richtig halten. Ich bin ja dann längst anderswo. Wenn ich an mein Ende denke, möchte ich nicht dorthin schauen, wo ich nicht landen will. Ich möchte meine Augen auf Jesus richten, auf Gott, er soll das Ziel meines Lebens sein. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, denn das Ziel ist gut und friedlich. Und übrigens: Ich muss mich dringend mal wieder bei Hermann melden!

Wir sind auch stolz auf die Verlierer (16.08.2024)

Neulich erzählte mir eine Bekannte begeistert davon, dass nun auch das letzte Kind sein Studium abgeschlossen habe und sie so stolz darauf sei. Ich lächelte zu ihren Erzählungen und hoffte, dass es nicht zu verkrampft wirkt. Schließlich fragte sie mich: “Und was machen deine Kinder so?” Ich überlegte und sagte dann: “Ich freue mich an den Tagen, an denen sie glücklich sind.” Muss es mir peinlich sein, dass es nicht danach aussieht, als ob meine Nachkommen großartige Karrieren vor sich hätten? Eine von vieren hat auf einer Fachhochschule studiert. Einen Master hat sie allerdings nicht gemacht, sondern unsere Enkelin geboren. Die anderen drei haben nicht studiert. Habe ich eigentlich Grund, trotzdem stolz auf sie zu sein? Auch wenn sie bei der Olympiade der Karrieren vermutlich die Qualifikation verpasst haben? Ich habe übrigens gerne Olympia geschaut. Den Medaillenspiegel mag ich aber nicht und auch nicht die Wehklage darüber, dass „wir Deutschen“ so schlecht waren, wie seit 1956 nicht mehr. Ich mag allerdings sehr, dass bei Olympia angeblich „Dabei sein alles ist“, auch wenn weltweit Millionen zu schlecht waren, um dabei zu sein.  Wenn Menschen von ihren fantastischen Familien erzählen, werde ich immer kleinlaut. Mein Vater war ein kreativer Trinker und wurde nur 57 Jahre alt. Er hatte mich lieb, aber mitgegeben hat er mir auch seinen Jähzorn und die Eigenschaft, wild um sich zu schlagen, wenn man angegriffen wird. Mein Bruder starb jung an den Folgen eines unsteten Lebens. Meine Schwiegermutter nahm sich das Leben, als meine Frau ein Kind war. Das alles und auch wir eignen uns nicht, um damit anzugeben. Ich kenne viele Menschen, die sich wie ich fragen, ob sie auf ihre Familien auch stolz sein können, wenn sie nicht viel vorzuweisen haben. Mit Michaela bin ich seit 31 Jahren zusammen. Unser Trauspruch kommt aus der Bibel: “Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.” (Psalm 126).  Nur Mut, liebe Verliererinnen und Verlierer! Wir sind stolz auf Euch!

Alles wird gut (17.07.2024)

Letzte Woche hatte ich eine Unterhaltung mit einem Freund. Am Ende des Gesprächs sagte er: „Alles wird gut.“ Man muss dazu sagen, dass wir gerade über ziemlich große Sorgen geredet hatten. Seine und meine. Und dann sagte er: „Alles wird gut.“ Das stimmt nicht. Es wird nicht immer alles gut. Oder doch? Die Religionen erzählen davon. Alle! Wenn es nicht auf Erden gut wird, dann wenigstens im Himmel. Soll das der Trost für alle sein, die ein wirklich schweres Leben haben? Wir trösten belastete Menschen damit, dass es im Himmel für sie besser wird? Manche Leute können darüber nur den Kopf schütteln. Da fällt mir ein: Kennen Sie die Geschichte vom verlorenen Schaf? Sie steht in der Bibel. Ein Hirte hatte 100 Schafe. Eins ging verloren. Da machte er sich auf und sucht so lange, bis er es gefunden hatte. Die Freude war groß. Er brachte das Schaf wohlbehalten zurück. So wie der Hirte sei Gott, sagte Jesus. Er findet immer das Verlorene. Und dann ist alles gut. Unser Leben wirkt anders. Wir sehen die Verlorenen, wir kennen vielleicht sogar Verlorene. Wir sind selbst Verlorene. Und die frohe Botschaft von einem Gott, der uns immer sucht, findet und nachhause bringt bekommt mehr und mehr Macken, je älter wir werden. Das kann so weit gehen, dass Menschen sagen, dieser Gott könne ihnen gestohlen bleiben. Meinem Freund geht es nicht so. Er glaubt fest daran, dass alles gut wird, obwohl es auch in seinem Leben gar nicht danach aussieht. Ich frage ihn manchmal, woher er diesen Glauben nimmt. Seine Antwort: „Ich weiß es nicht. Ich nehme ihn ja auch gar nicht. Ich habe ihn einfach!“ Wenn ich mal wieder denke, dass nicht alles gut wird und viele nicht gefunden werden, dann leihe ich mir den Glauben meines Freundes. Manchmal kommen mir dann die Tränen und ich sage zu Gott: „Es ist mir egal, ob es vernünftig ist. Ich möchte glauben, dass alles gut wird. Und ja, meinetwegen auch erst im Himmel.“ Wissen Sie was? Mein Freund leiht mir seinen Glauben gern. Und Ihnen auch, da bin ganz sicher.

So soll es sein? (21.06.2024)

Am Montag haben wir uns bei einem Autohaus in Wiesmoor einen gebrauchten Kleinwagen gekauft. Abends kamen wir ins Grübeln. War es die richtige Entscheidung? War das Auto nicht viel zu teuer?  Am frühen Dienstagmorgen ploppten dann die ersten Nachrichten von einem brennenden Autohaus  in meinem Smartphone auf und Bekannte fragten: „Habt Ihr Euch nicht gestern dort ein Auto gekauft?“. Einer der ersten Kommentare lautete: „Es sollte wohl nicht sein.“ Das sagt man ja so. Zunächst habe ich innerlich genickt.

Und dann fiel mir plötzlich auf, wie zynisch ein solcher Gedanke sein kann. Wenn irgendeine höhere Macht dafür verantwortlich ist, dass wir nun einen anderen Kleinwagen kaufen werden, dann bedeutet das ja auch, dass diese höhere Macht Autohäuser anzündet, um Kleinigkeiten in meinem Leben zu regeln!  „Es sollte nicht sein“ könnte bedeuten, dass der Brand sein sollte? Was für eine furchtbare Vorstellung! Es gibt Menschen, die behaupten, das Leben sei ein einziger Plan Gottes.

Wenn Gott also geplant hat, dass so viel Zerstörung durch ein Feuer geschieht, Menschen ihren Besitz und andere vielleicht ihren Arbeitsplatz verlieren, dann möchte ich Gott gerne mitteilen, dass ich seine Pläne schrecklich finde. In Zukunft möchte auch ich mit solchen Bemerkungen vorsichtiger sein. Es könnte sein, dass Gott einen Plan hat. Aber Brände, Kriege, Katastrophen und andere Not kann ich mir als sein gezieltes Werk heutzutage nicht vorstellen, auch wenn ich weiß, dass in der Bibel davon die Rede ist.

Heute bete ich für alle Menschen, die von Zerstörung betroffen sind und unter ihr zu leiden haben. Ich gehöre derzeit nicht dazu und weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Ich bete auch für alle, die zu Hilfe eilen. Und für die, die im Hintergrund die Helferinnen und Helfer versorgen. Danke, dass Ihr alles stehen und liegen lasst, um zu helfen! Ich stelle mir vor, dass Gottes Antwort auf Zerstörung unsere helfenden Hände und mitfühlenden Herzen sind. So soll es sein! Hier und anderswo.

Die wunderbare Vielfalt (24.05.2024)

Als mennonitischer Pastor kommt man ganz schön rum. Ich habe vier Gemeinden in fünf Städten. Überall treffen wir uns, um Gemeinschaft und Orientierung auf der Grundlage des Evangeliums zu finden.
Und natürlich diskutieren wir auch darüber. Letzte Woche haben wir erst über den Heiligen Geist gesprochen und uns dann gefragt, wie das eigentlich bei den anderen Religionen ist. Schon interessant, was zum Beispiel die Hindus so machen. Wussten Sie zum Beispiel, dass viele kein Fleisch essen, weil Tiere bei ihnen einen sehr hohen Stellenwert haben? Oder wussten Sie, dass man Hindu gar nicht werden kann? Das wird man durch Geburt.
Christ wird man durch die Taufe. Nach dem Verständnis der Mennoniten setzt dies eine bewusste Entscheidung voraus. Daher taufen wir keine Säuglinge.
Mir gefällt es, dass man sich entscheiden kann, zu unserer Glaubensgemeinschaft gehören zu wollen. Und je länger ich mir all die Religionen anschaue, desto zuversichtlicher bin ich, dass ich bei Jesus richtig bin. In der Bibel steht, dass er sagt, dass man nur durch ihn zu Gott kommen kann. Er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben. Sind dann alle verloren, die nicht an ihn glauben?
Es gibt Christen, die das behaupten. Ich glaube, dass Jesus diesen Satz einladend und nicht ausgrenzend gemeint hat.
Wir Christen müssen uns nicht über andere Religionen erheben. Wir dürfen uns sogar für sie interessieren, denn so entsteht ein Gespräch.
Am Sonntag ist Trinitatis. Da denken Christen darüber nach, dass Gott sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat. Gott um uns, Gott mit uns, Gott in uns. Klingt fast ein bisschen buddhistisch, auch wenn die Buddhisten eigentlich gar keinen Gott haben.
Die Hindus haben ganz viele. Juden, Muslime und Christen nur einen. Wobei es Muslime gibt, die behaupten, dass wir Christen drei haben.
Das sind doch wirklich herrliche Grundlagen für einen lebendigen Dialog! Lasst uns einander erzählen, was wir glauben. Mit Freundlichkeit und Respekt, weil Gott die wunderbare Vielfalt liebt.

Zu Besuch bei Gott (26.04.2024)

“Ich war krank und ihr habt mich besucht.” Wer sagte das noch gleich? Ach ja, Jesus. Kranke besuchen?  Das macht man ja in der Regel nicht so gerne. Man könnte sich anstecken. Es kann ganz schön anstrengend sein, Kranke zu besuchen. Vor allem wenn sie sehr krank sind und man damit rechnen muss, dass sie nicht wieder gesund werden. Schnell gerät man an seine Grenzen. “Du lieber Himmel, das könnte ich sein …” denkt man vielleicht. Und wie soll man als Besucher mit Traurigkeit umgehen, mit Verzweiflung oder Wut?

Und dann sagt Jesus: “Immer wenn ihr jemanden besucht habt, der krank war, habt ihr auch mich besucht.”

Die Leute, zu denen er damals sprach, verstehen den Satz zuerst auch nicht. “Wie bitte? Wann sollten wir dich besucht haben?”

Was meint Jesus überhaupt mit diesem Satz? Er war doch gar nicht krank. Und so richtig besuchen konnte man ihn auch nicht. Er hatte ja gar keinen festen Wohnsitz.

Ich kannte mal eine alte Frau. Sie lebte in einem Altenheim und hieß Alice. Obwohl sie nicht mehr laufen konnte, war sie meistens fröhlich. Als ich sie kennenlernte, war ich 14 Jahre alt. Unsere Gemeindeschwester meinte, es sei gut, wenn zu den Alten mal ein paar junge Leute gehen würden. Ich war der einzige, der sich dann auf den Weg machte. Und das auch nur, weil ich schon damals so schlecht nein sagen konnte. Ich hatte überhaupt keine Lust, alte Leute zu besuchen. Bis ich Alice kennenlernte. Wir haben viele lustige Sachen zusammen erlebt. Ich setzte sie zum Beispiel in einen Rollstuhl und fuhr mit ihr an den Rhein. Die Leute dachten immer, ich sei ihr Enkel. Dabei hatte Alice noch nicht mal Kinder. Ich habe sie fünf Jahre lang besucht, bis sie dann gestorben ist. Ein Satz von Alice ist besonders wichtig. Sie sagte einmal: „Gott ist immer schon da, bevor du kommst.” Ich wusste damals überhaupt nicht, was sie damit meinte. Bis ich viele Jahre später den Satz von Jesus verstanden habe. So schwer der Besuch auch sein mag. Gott ist immer schon da.

Kolumne vom 22. März 2024:

Schönes Wochenende !

Wenn man als Pastor nebenberuflich Busse lenkt, kann man ganz schön was erleben. Ich mache das schon seit vielen Jahren. Aktuell übrigens in Leer im Stadtverkehr. Immer nur ein paar Stunden, vorzugsweise am Freitagnachmittag. 

Der Freitagnachmittag hat eine ganz besondere Magie, finde ich zumindest.

Manche Leute freuen sich aufs Wochenende, andere fürchten das Wochenende. Für die einen ist es viel zu kurz, für die anderen dauert es eine Ewigkeit. Als Busfahrer sieht man sie alle. Jung und alt, berufstätig oder nicht, müde oder albern, wohlhabend oder bedürftig.

Sie steigen ein, sie steigen aus und ein kurzes Stück sind wir miteinander unterwegs. Manche haben ein freundliches Wort für den Busfahrer übrig, andere sind so sehr mit sich selbst beschäftigt oder mit ihrem Smartphone, dass sie die Welt um sich herum gar nicht wahrnehmen.

Ja, wenn man als Pastor nebenberuflich Busfahrer ist, kann man ganz schön was erleben. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich die Fahrgäste leise oder hörbar segne. Vielleicht fragen Sie sich, was das soll? Wenn jemand besonders bedrückt wirkt, dann hoffe ich, dass sein Leben durch diesen Segen etwas tragbarer wird. Mein Segen geht übrigens so: “Schönes Wochenende!”

Wie bitte? Das soll ein Segen sein? 

Das ist natürlich Ansichtssache. Ich verbinde mit diesem Wunsch die Überzeugung, dass Gott die Menschen kennt und liebt. Indem ich ihnen Gutes wünsche, wie z.b ein schönes Wochenende, spreche ich diese liebevolle Zuwendung aus. Den guten Wunsch zum Wochenende mache ich so zum Segen.

Natürlich könnte ich auch sagen “Gott segne Sie!” Aber ich vermute, dass dies manche Menschen mehr irritieren als aufbauen könnte. Schade eigentlich, aber wahr. Oder sollte ich mutiger sein? Mutiger von Gott und seiner Liebe sprechen, in einer Welt, die manchmal so gottverlassen wirkt?

Wenn man als Pastor nebenberuflich Bus fährt, kann man ganz schön was erleben.

Schönes Wochenende!